Transkript:
Fast jeder kennt ihn, den Placebo-Effekt, den Hochstapler, der ohne Substanz Gutes tun kann. Nur wenige kennen den Nocebo-Effekt, den Hochstapler, der ohne Substanz Schlechtes tun kann. In diesem Beitrag geht es um den Nocebo-Effekt und damit darum „wer’s glaubt, wird krank.“
Hallo und herzlich Willkommen zu Romejo, schön, dass Du neugierig bist.
Der Placebo-Effekt ist allgemein bekannt: Ein Placebo (von latein: ich werde gefallen) ist ein Scheinmedikament, das trotz fehlendem Wirkstoff eine positive Wirkung, wie eine Heilung hervorruft. Es wirkt dadurch, dass der Patient an dessen Wirkung glaubt. Der Glaube versetzt Berge, bzw. erzeugt die Wirkung. Dagegen erzeugt das ebenfalls wirkstofffreie Nocebo (von latein: ich werde schaden) beim Patienten eine unangenehme Wirkung, wie z.B. eine Nebenwirkung, allein dadurch, dass er an die negative Wirkung glaubt, bzw. diese erwartet.
Verglichen mit dem Placebo-Effekt gibt es für den Nocebo-Effekt weniger Untersuchungen, weniger Forschung und weniger Publikation.
Eine bemerkenswerte Studie wurde an der Universität Essex durchgeführt. In der über drei Jahre dauernden Studie nahm eine Gruppe von Personen teil, die über gesundheitliche Beschwerden durch die Nähe von Mobilfunksendern klagten, sowie eine Gruppe von Personen, die noch nie negative Auswirkungen durch Mobilfunk zu beklagen hatten.
In einem Labor wurden diese Personen in verschiedenen Experimenten elektromagnetischen Strahlen mit Frequenzen im GSM- und UMTS-Bereich ausgesetzt.
In der Doppelblindstudie wurde den Versuchsteilnehmern gesagt, dass eine Antenne mit der entsprechenden Strahlung für 50 Minuten in Betrieb sei. Die Probanden, die sich für strahlungssensibel hielten, klagten anschließend über Übelkeit, Kopfschmerzen oder grippeähnliche Symptome. Ebenso konnten die Ärzte bei den Betroffenen Änderungen der Herzfrequenz und der Hautfeuchtigkeit messen. Diese subjektiv empfundenen Beschwerden und messbaren Symptome waren allerdings ganz unabhängig davon, ob die Antenne tatsächlich in Betrieb war oder nicht.
Die Studie sagt nichts über die Gefahr von Mobilfunk aus, aber wer die Gefahr fürchtet, wird wahrscheinlicher unter tatsächlichen Symptomen leiden.
Voodoo-Fluch der perverse Nocebo-Effekt
Ein Beispiel für einen extremen Nocebo-Effekt sind Todesurteile, die von Voodoopriestern verhängt werden. Dabei wird vermutet, dass die Opfer in ihrem Glauben vor Resignation und Angst erkranken und letztlich auch einen psychogenen Tod sterben könnten. Wenn man dieses Beispiel anführt, sollte man auch erwähnen, dass Voodoo mehrheitlich eine friedliche Religion mit Bestandteilen hauptsächlich christlicher Rituale ist und das fast alle Meldungen über Tod durch Imagination in sozialen Medien Fake sind.
Woher kennt man den Nocebo-Effekt?
Entdeckt wurde der Nocebo-Effekt im Rahmen klinischer Tests von Arzneimitteln, als nach Verabreichung wirkstofffreier Präparate – so genannter Placebos – negative gesundheitliche, teilweise auch krank machende Auswirkungen auftraten. Im medizinwissenschaftlichen Sprachgebrauch werden heute im weiteren Sinne auch alle anderen Maßnahmen oder jegliche Einflussgrößen als Nocebo bezeichnet, die ohne naturwissenschaftlichen Nachweis einer spezifischen Ursache eine negative Reaktion auslösen können.
Der Nocebo-Effekt – oft auch als negativer Placebo-Effekt bezeichnet – beruht, wie auch der Placebo-Effekt, unter anderem auf einer bestimmten Erwartungshaltung. Die Erwartungshaltung kann dabei auch unbewusst sein.
Wer’s glaubt, wird krank.
Die Erwartungshaltung, dass bestimmte äußere Einwirkungen „krank machen“ kann dazu führen, dass diese Personen erkranken, respektive es können die entsprechenden Symptome bei ihnen beobachtet und gemessen werden. Zu Auslösern oder Verstärkern gehören u. a. Diagnosen von Ärzten, auch Fehldiagnosen und ausführliche Erläuterungen zu möglichen Nebenwirkungen. Auch das ausführliche studieren der Packungsbeilage.
Einspieler: Zu Risiken & Nebenwirkungen
Oder Sie tun das lieber nicht, weil Sie den Nocebo-Effekt kennen.
Generell können alle Warnmeldungen potentiell krank machen.
Untersuchungen und Studien zum Nocebo-Effekt stoßen schnell an eine Ethische Grenze, da es sich selbstverständlich verbietet zu Forschungszwecken Menschen zu schädigen. Einige wenige Studien wurden jedoch durchgeführt, mit eindeutigen Ergebnissen. Wie in einer Studie zu Nahrungsmittelallergie. Patienten, die über eine Nahrungsmittelallergie klagten, erhielten in einer Doppelblindstudie Injektionen von Kochsalzlösung, die ihnen – bewusst falsch – als Allergen beschrieben wurde. Immerhin 25% dieser Patienten zeigte nach der Injektion allergische Reaktionen.
Sind Infraschall-Schäden ein reiner Nocebo-Effekt
Im Bereich von Windkraftanlagen wird Infraschall als Auslöser verschiedener Krankheiten vermutet, jedoch ohne tatsächlich möglichen Nachweis hierfür. Doppelblindstudien ergaben, dass gleichartige Symptome sowohl bei tatsächlicher Beschallung als auch durch bloße Einbildung ohne tatsächliche Infraschallexposition ausgelöst werden konnten, wenn die Testteilnehmer durch zuvor erfolgte Beeinflussung Symptome erwarteten. Personen, die keine negativen Einflüsse durch Infraschall erwarteten, bildeten dagegen bei dem Experiment keine Symptome aus.
Suizidversuch mit Placebos
Selbst ein kritischer Suizidversuch mit Placebos ist in der medizinischen Literatur verzeichnet. Der Suizid wurde durch einen 26-Jährigen mit Medikamenten aus einer medizinischen Studie versucht. Der schwer depressive Patient geriet in einen kritischen Zustand, obwohl es sich bei seiner Medikation um Placebos der Vergleichsgruppe gehandelt hatte.
Gibt es bei Impfungen einen Nocebo-Effekt?
Wer sich intensiv mit den Nebenwirkungen einer Impfung beschäftigt und sie erwartet und besonders darauf achtet, hat eine ausgezeichnete Chance, genau diese Nebenwirkungen und entsprechende Symptome zu bekommen. Selbst schuld? Nein, denn sie haben den Nocebo-Effekt weder erfunden noch sich absichtlich dafür gemeldet oder entschieden. Sie können sich nicht einmal gegen den Nocebo-Effekt wehren. Allerdings hat eine Impfung auch erwünschte Wirkungen, auf die man sich fokussieren könnte.
Der Nocebo-Effekt Feind des aufgeklärten Patienten?
ÄrztInnen bringt der Nocebo-Effekt regelmäßig in ein Dilemma. Gesetzlich sind sie zur Aufklärung ihrer Patienten verpflichtet auch Hinsichtlich aller Eventualitäten von Behandlungen und Medikamenten. Auf der anderen Seite gilt; primum non nocere“, auf Deutsch „zuallererst einmal dem Patienten nicht schaden“. Beiden Prinzipien lässt sich nicht gleichzeitig gerecht werden, da eine umfassende Aufklärung des Patienten dazu führen kann, dass dieser unerwünschte Nebenwirkungen oder Symptome durch den Nocebo-Effekt induziert bekommt.
Wie viele an den induzierten Folgen Ihrer Totensalbung verstorben sind, ist nicht bekannt, allerdings war die Erkenntnis ausschlaggebend für die Umbenennung in Krankensalbung.
Zum Fazit:
Der zur Psychosomatik gehörende Nocebo-Effekt wird oft unterschätzt. Wer Schmerzen erwartet, dem wird es weh tun. Die Überzeugung krank zu sein, macht krank. Placebo Tabletten ohne Wirkstoff können Nebenwirkungen durch den Nocebo-Effekt auslösen. Nichts kann einem mehr den Tag versauen, als wenn der behandelnde Arzt sagt: Ihr XY-Wert ist im Grenzbereich, das ist nicht schlimm, aber wir müssen es im Auge behalten. Arztbesuche können so unheilvoll sein. Es macht einen grossen Unterschied, ob Sie erfahren, dass ein Medikament zu 5% nicht wirkt, oder ob Sie erfahren, dass ein Medikament zu 95% erfolgreich ist.
Wer bei beobachten Symptomen Professor Wikipedia oder Dr. Google befragt, könnte Informationen bekommen, die ihn erst richtig krank machten. Leider ist der Nocebo-Effekt im Gegensatz zu seinem positiven Gegenstück selbst in medizinischen Fachkreisen relativ unbekannt.
Vielen Dank für’s Zusehen.
Alle Quellen und Weiterführendes wie immer im Abspann und auf Romejo.com
Erwarte stets nur das Beste, – bis neulich und bleib neugierig.
Quellen und weiterführend:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/147589/Nocebo-Die-dunkle-Seite-der-menschlichen-Einbildungskraft
https://correctiv.org/faktencheck/2021/08/17/fuer-dieses-gefaengnis-experiment-gibt-es-keine-belege/
https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/medizin/psychosomatik/pwiedernoceboeffekt100.html
https://www.geo.de/wissen/gesundheit/23785-rtkl-nocebo-effekt-wenn-angst-krank-macht-der-placebo-effekt-und-sein-boeser
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/das-falsche-signal-79480
Enck P, Benedetti F, Schedlowski M. New insights into the placebo and nocebo responses. Neuron 59;2008:195-206
Andrzej Stasiak: Eight controversies. In: EMBO reports. 5, 2004, S. 239
- Benedetti u. a.: Conscious Expectation and Unconscious Conditioning in Analgesic, Motor, and Hormonal Placebo/Nocebo Responses. In: J Neurosci. 23, 2003, S. 4315–4323
- J. London u. a.: Placebos that harm: sham surgery controls in clinical trials. In: Statistical Methods in Medical Research. 11, 2002, S. 413–427
- S. Staats u. a.: The additive impact of anxiety and a placebo on pain. In: Pain Med. 2, 2001, S. 267–279
- Morse: The Nocebo Effect – Scattered studies suggest that negative thinking can harm patients’ health. In: Hippocrates. Vol. 13, No. 10. (1999)