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Transkript
Wer an eine Kneippkur denkt, der denkt oft an‘s Wassertreten. Ist Kneippen Naturheilkunde oder ist Kneippen Kurpfuscherei? Was hat der Pfarrer aus dem Allgäu erfunden?
In diesem Beitrag geht es um einen bekannten Pfarrer und sein medizinisches Wirken.
Sebastian Anton Kneipp, der Erfinder der Kneippkuren lebte von 1821-1897.
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Wie kam Kneipp auf die Kneippkur?
Spätestens seit seinem 25. Geburtstag litt Kneipp an einer Lungenerkrankung, vermutlich Tuberkulose. Die Tuberkulose, an der weltweit etwa 10 Millionen Menschen pro Jahr erkranken, führt auch heute noch die weltweite Statistik der tödlichen bakteriellen meldepflichtigen Infektionskrankheiten an. Erst 1882, da war Kneipp bereits 61 Jahre alt, fand Robert Koch den Erreger der Tuberkulose bzw. Schwindsucht das Mycobacterium tuberculosis. Das Bakterium wird von Mensch zu Mensch über Aerosole übertragen, es gilt als hochansteckend. Für eine Infektion genügt hierbei die Inhalation einiger Mikro-Tröpfchen mit 2–5 µm Durchmesser, die jeweils 1–3 Erreger enthalten. Tuberkulose wird auch vom Tier zum Mensch übertragen Ein häufiger Übertragungsweg ist von der Kuh zum Menschen, über nicht abgekochte Kuhmilch.
1848 entdeckte Sebastian Kneipp zufällig das Buch „Unterricht von Krafft und Würkung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen …“ Autor war der Arzt Johann Hahn. Kneipp therapierte sein Lungenleiden selbst und badete wöchentlich zwei- bis dreimal, einige Augenblicke in der eiskalten Donau bei Dillingen, nahm zu Hause Halbbäder, übergoss sich mit Wasser und wurde nach eigenen Angaben wieder gesund.
Kneipp war zu jener Zeit noch Theologiestudent, er las Bücher über Wasseranwendungen, besuchte den Verein der Wasserfreunde und hörte dort von Vincenz Prießnitz aus Gräfenberg, der bereits seit 30 Jahren mit Wasser behandelte. Kneipp wiederum begann seine Studienkollegen gegen Tuberkulose zu behandeln.
Kneipp war Theologe, keinArzt,
war Kneipp ein Kurpfuscher?
Sebastian Kneipps Behandlungserfolge sprachen sich herum, seine Bekanntheit wuchs, zum Missfallen von Ärzten und Apothekern der Umgegend. Und so wurde Kneipp der Kurpfuscherei angeklagt, weil er einer Cholera Patientin heiße Wickel verordnete. Er wurde zu einer Buße von zwei Gulden wegen „Vergehens gegen das Kurierverbot“ verurteilt. Ironischerweise ließ sich auch der Richter von Kneipp eine Kuranweisung gegen seine Gicht ausstellen. Juristen haben eben viel Moral, manche sogar eine Doppelmoral.
Im selben Jahr brach eine Choleraepidemie in München aus und verbreitete sich in ganz Oberbayern und Schwaben. Cholera ist eine bakterielle Erkrankung, die vorwiegend durch verunreinigtes Trinkwasser auftritt, die Krankheit kann Symptomlos verlaufen, treten jedoch Symptome auf, ist die Sterblichkeit innerhalb weniger Stunden durch Dehydrierung hoch.
Kneipps Vater war eines der ersten Todesopfer der Cholera-Epedemie. Als die Krankheit sich weiter ausbreitete, handelte Kneipp gegen die abgegebene Unterlassungserklärung. Ihm wurde später die Heilung von zweiundvierzig erkrankten Personen zugeschrieben.
Was war Kneipps Therapie?
Kneipps Therapiekonzept lässt sich mit einer Hand aufzählen, es besteht aus fünf Säulen,
- wohltuende Wasseranwendungen,
- Anwendung von Heilkräutern
- ausgewogene Ernährung
- ausreichend Bewegung,
- Ordnungstherapie
Wohl am bekanntesten sind die Wasseranwendungen nach Kneipp, wobei sich Kneipp an der Wasserheilkunde des Arztes Johann Siegmund Hahn aus dem 18. Jahrhundert orientierte. Am bekanntesten ist wohl das Wassertreten und kalte Güsse, aber auch Armbäder. Der medizinische Effekt basiert auf der Temperatur des Wassers, nicht auf dem Druck. Als Reaktion auf kaltes Wasser verengen sich die Blutgefäße der behandelten Regionen. Nach der Behandlung tritt durch deren Erweiterung ein Wärmeeffekt ein, es entsteht ein wohliges Wärmegefühl. Der Körper wird nachweislich belebt, das Immunstem stimuliert und Nervensystem und Kreislauf gestärkt. Die Maßnahmen sind einfach und kostengünstig, Wassertreten lässt sich mit einem Eimer Kaltwasser durchführen. Einfach die Füße Wadentief rein. Und für kalte oder wechselwarme Güsse eignet sich heutzutage jede Dusche. Schon das Vermehrte Durchatmen, wenn kaltes Wasser auf unsere Haut trifft, ist nachweislich gesund und stärkt die Atmung.
Die zweite Säule der Kneipp’schen Therapie ist die Anwendung von Heilkräutern. Auch dies, keine Erfindung des Pfarrers aus dem Allgäu. Heilkräuter wurden schon Jahrhunderte vor Kneipp angewandt. Kneipp selbst erforsche die Wirkung von ca. 40 Heilkräutern. Er sah in der Natur die beste Apotheke. Er behauptete jedes Kräutlein habe seine eigene individuelle Wirkung. Kneipp therapierte z.B. mit dem Heublumensack, der befeuchtet und erhitzt am warm eingepackten Patienten zur Anwendung kommt, er lindert Krämpfe, Verspannungen und Zerrungen.
Die dritte Säule der Kneipp‘schen Therapie ist die Ernährung.
Die Regeln sind einfach, jeder soll, entsprechend seiner körperlichen Konstitution eine einfache, ungekünstelte, nahrhafte Kost essen. Schon Kneipp erkannte, dass unausgewogene Ernährung zu Stoffwechselerkrankungen führt. Ausgewogen heißt bei Kneipp: „Von allem genügend, aber von nichts zu viel.“ Kneipp verdammte auch den Genuss nicht. Er sah sich nicht als Puritaner und gestattete gern ein Glas Wein oder Bier. In Maßen genossene Arzneikräuterweine könnten nach seiner Auffassung zur Kräftigung und Heilung zahlreicher Leiden beitragen.
Die vierte Säule der Kneipp’schen Therapie ist ausreichend Bewegung
Kneipp wurde nicht nur von Handwerkern und Bauern aufgesucht, auch der Klerus incl. Papst und der Hochadel suchten seine Hilfe. Und letzteren verordnete er wie dem einfachen Volk Bewegung. In der damaligen Ständegesellschaft unerhört, ein Adliger sollte körperlich arbeiten.
Aber durch die Ertüchtigung wurden auch die blaublütigen Körper besser durchblutet, leistungsfähiger und gesünder. Bis in die heutige Zeit gilt Bewegungsmangel als Ursache vielen gesundheitlichen Übels. Kneipp ging es auch hier maßvoll an und propagierte nicht den Leistungssport.
Die fünfte Säule seiner Therapie ist die Ordnungstherapie
Kneipp war als Pfarrer auch Seelsorger, die Seele lag ihm am Herzen im christlichen, wie im Medizinischen Sinn.
„Im Maße liegt die Ordnung, jedes Zuviel und jedes Zuwenig setzt an Stelle der Gesundheit Krankheit.“ Wird dem Wasserdoktor als Zitat zugeschrieben. Heute nennt man es wohl treffend den strukturierten ganzheitlichen Behandlungsansatz mit dem Ziel eines gesundheitsfördernden Lebensstils.
Hat Kneipp etwas erfunden?
Kneipp hat vor allem weiterentwickelt und rekombiniert, wirklich erfunden hat er keine seiner fünf Therapiesäulen. Die Ordnungstherapie und Teile der Ernährungstherapie Kneipps gehen wohl auf den Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner zurück, der das berühmte Birchermüsli publik machte und den Begriff der Vollwertkost prägte. Auch Diäten waren dabei, darunter die vegane Diät. Die Anwendung von Heilkräutern hat die Natur erfunden, selbst Tiere verwenden Heilkräuter. Von Ameisen, Bienen bis zu Hirschen und Wölfen nutzen Tiere Pflanzen, um sich zu heilen. Das wusste man zu Kneipp’s Zeiten noch nicht. Der Mann vom Tisenjoch, allgemein bekannt als Ötzi, eine etwa 5300 Jahre alte Gletschermumie führte Birkenporlinge vermutlich als Heilmittel mit sich. Die Natur war für Kneipp die beste Apotheke. Als Tees, Tinkturen, Salben oder Säfte wandte er sie an.
Ausreichend Bewegung auch für Adelige, das war damals ungewöhnlich. Die Wasseranwendungen, die Kneipp so berühmt gemacht haben, gehen auf den Arzt Johann Siegemund Hahn zurück. Kneipp machte die Wasserkuren und das Wassertreten aber erst populär.
Trotz aller Erfolge hörten Anfeindungen auf Kneipp nie auf. Es kam zu mehreren Brandstiftungen in Wörishofen; sie galten dem Kurhaus, der Redaktion der Kneippblätter und weiteren Einrichtungen. Die Presse, insbesondere die Augsburger Abendzeitung und die Leipziger Volkszeitung, kritisierte Kneipp scharf, warf ihm unter anderem Profitgier und sogar die Verwahrlosung der zur Pflege anvertrauten Kinder vor.
Wer heilt hat Recht
Wer heilt hat eben doch Recht. Und Kneipp wurde wegen seiner Heilerfolge bekannt, allerdings suchte er auch stets die Nähe der damaligen Schulmedizin und hatte nie das Bestreben eine Alternative zur Medizin zu entwickeln. Kneipps Methoden hielten Einzug in die Schulmedizin in der Hydrotherapie, der Balneotherapien und der Heilkräutermedizin. Unter anderem am Berliner Immanuel Krankenhaus wird Body-Mind-Medizin in der Tagesklinik eingesetzt um chronisch erkrankten Menschen eine Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten und Möglichkeiten aufzuzeigen, die eigenen Kraftquellen zu mobilisieren.
Was ist von Kneipp geblieben?
Noch zu Kneipps Lebzeiten stritten sich bereits die Laienbewegung und die Ärztefraktion um sein Erbe.
Kneipp selbst übertrug dem Apotheker Leonhard Oberhäußer, der die Engelapotheke am Oberen Markt in Würzburg betrieb, alle Rechte pharmazeutische und kosmetische Produkte unter dem Namen Kneipp zu vertreiben. Daraus entstand die Kneipp GmbH, die heute zur Hartmann Gruppe gehört.
Der Verleger Ludwig Auer aus Donauwörth gründete den ersten Kneipp-Verein. Kneipp selbst wurde Ehrenpräsident. Auer brachte die erste Ausgabe der heute noch monatlich erscheinenden Kneippblätter heraus. Heute ist das das Kneipp-Journal, herausgegeben vom Kneipp-Bund e. V. aus Bad Wörishofen.
Der Streit über die Marke Kneipp reicht bis in die Gegenwart, 2019 hat sich der Bundesgerichtshof mit einem Streit um die Wortmarke Kneipp befasst.
Kneipp war ein bemerkenswerter Pfarrer, der als Wasserarzt in Europa und Nordamerika berühmt wurde, 2021 feiern wir seinen 200ten Geburtstag. Sein Credo war eine gesunde Lebensweise mit Maß und Gleichgewicht.
Vielen Dank für’s Zusehen, alle Quellenangaben und Weiterführendes im Abspann und auf Romejo.com
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Mediennachweis:
Manfred Antranias Zimmer,Chiemgau, Germany
gefrorene_wand, Germany
Wolfgang Eckert, Forchheim, Germany
Tom analogicus, Andernach, Germany
silviarita, Germany
Paul Diaconu, SATU MARE, Romania
Joshua Woroniecki, Indianapolis, USA
Triplec85, wikimedia, Germany
Hubert Berberich, wikimedia, Germany
Ismael Gentz, 1862 – 1914 (Artnet)
Christopher O’Toole, United Kingdom
Quellen und weiterführend:
Aus meinem Leben, herausgegeben vom Stamm-Kneipp-Verein, Bad Wörishofen 2012.
Bad Wörishofen und Sebastian Kneipp vor 100 Jahren. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, Band 14, 1996, S. 441–447, hier S. 441 Autor: Bernhard Uehleke
Gundolf Keil: Vegetarisch. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015 (2016), S. 42.
Friedrich Oertel: Ein alter Wasserdoktor. In: Kneippblätter. Band 1, Nr. 13, 1891, S. 193–195
- Koul u. a.: The challenge of new drug discovery for tuberculosis. In: Nature. Band 469, Nr. 7331, 2011, S. 483–490,
- Riley: Aerial dissemination of pulmonary tuberculosis. In: Am Rev Tuberc. Band 76, Nr. 5980, 1957, S. 931–941
https://berlin.immanuel.de/aktuelles/presse/presse-archiv/detailseite/article/mind-body-medizin-als-hilfe-zur-selbsthilfe/
- O. Bircher-Benner: Ordnungsgesetze des Lebens. Hrsg.: Andres Bircher. Edition Bircher-Benner, Braunwald 2014, ISBN 978-3-906089-01-0, S. 139.
Konrad Spindler: Der Mann im Eis. Die jungneolithische Gletschermumie vom Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen. In: Nürnberger Blätter zur Archäologie 9, 1992/93, S. 27–38.
Bernhard Uehleke: Bad Wörishofen und Sebastian Kneipp vor 100 Jahren. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, Band 14, 1996, S. 441–447, hier S. 441
https://www.kneippbund.de/wer-wir-sind/
https://www.kneipp.com/de_de/impressum/